Ein Wort mit einer der Endungen I, AS, IS, OS, US oder U ist ein Verb. Ein Verb beschreibt die Ausführung einer Handlung oder das Bestehen eines Zustands.
- Ein finites Verb (Finitiv) ist ein Verb mit einer der Endungen AS, IS, OS, US und U. Ein solches Verb fungiert als Prädikat eines Satzes.
- Ein Infinitiv ist ein Verb mit I-Endung. Ein solches Verb fungiert nicht als Prädikat, sondern hat diverse andere Rollen im Satz.
Finite Verben
Es gibt drei finite Verbmodi: Indikativ, Volitiv (Imperativ) und Konditional.
Indikativ
Der Indikativ ist ein Modus, der reale, tatsächliche Handlungen und Zustände beschreibt. Im Indikativ muss man zwischen drei Zeiten unterscheiden: Präsens, Präteritum und Futur.
Präsens: AS-Endung
Ein Verb im Präsens, also mit AS-Endung, zeigt an, dass die Handlung oder der Zustand real und tatsächlich ist und dass sie begonnen hat, aber noch nicht abgeschlossen ist. Das bedeutet, dass die Handlung oder der Zustand genau jetzt stattfindet, oder dass sie gewöhnlich stattfindet, oder dass eine Sache immer gilt:
- laboras = Die Handlung "arbeiten" hat angefangen, aber noch nicht geendet.
- estas = Der Zustand "sein" hat begonnen, aber noch nicht geendet.
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Mi sidas sur seĝo. - Ich sitze auf einem Stuhl.
Das Sitzen ist real und gegenwärtig.
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Mi estas advokato. - Ich bin Anwalt.
Der Beruf ist aktuell und gegenwärtig.
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Kvar kaj dek ok faras dudek du. - Vier und achtzehn macht zweiundzwanzig.
Das gilt stets.
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Nun mi legas. - Jetzt lese ich.
Das Lesen findet tatsächlich jetzt statt.
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Hodiaŭ mi studas Esperanton. - Heute studiere ich Esperanto.
Möglicherweise studiere ich nicht genau im Moment der Aussage, aber ich habe das heutige Studium begonnen und noch nicht beendet.
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En la vintro oni hejtas la fornojn. - Im Winter heizt man die Öfen.
Dies geschieht jeden Winter, früher und in Zukunft.
-
Mi loĝas ĉi tie tri jarojn. - Ich wohne hier drei Jahre.
Mein Wohnen hat schon drei Jahre gedauert, und es dauert an.
Gelegentlich verwendet man in Geschichten die AS-Zeit für die Zeit der Geschichte, für die Zeit, die die Geschichte erreicht hat. Dieser besondere Stil kann die Erzählung beleben:
-
Ne suspektante ion li iradis tra la arbaro. Subite eksonas pafo. - Nichtsahnend ging er durch den Wald. Plötzlich knallt ein Schuss.
Zuerst verwendet der Erzähler das Präteritum für die Vergangenheit, danach schwenkt er aber zum Präsens, damit der Zuhörer oder Leser den Eindruck bekommt, gleichsam selbst anwesend zu sein, und den Schuss hören zu können.
Präteritum: IS-Endung
Ein Verb im Präteritum, also mit IS-Endung, gibt an, dass die Handlung oder der Zustand real ist, aber irgendwann vor dem Moment der Aussage stattfand. Normalerweise ist die Handlung oder der Zustand bereits abgeschlossen:
- laboris = Die Handlung "arbeiten" geschah zuvor.
- estis = Der Zustand "sein" geschah vorher.
-
Mi sidis tiam sur seĝo. - Ich saß dann (damals, zu der Zeit) auf einem Stuhl.
Das Sitzen fand tatsächlich in dieser vergangenen Zeit statt.
-
Mi estis knabo. - Ich war ein Junge.
Die Knabenhaftigkeit war in der betreffenden Vergangenheit real.
- Hieraŭ mi renkontis vian filon, kaj li ĝentile salutis min. - Gestern traf ich deinen Sohn, und er grüßte mich freundlich.
-
Mi loĝis ĉi tie tri jarojn. - Ich wohnte hier drei Jahre.
Mein Wohnen dauerte drei Jahre, dauert aber nicht mehr an.
Wenn man Feinheiten der Vergangenheit ausdrücken will, kann man diverse zusätzliche Wörter verwenden, oder aber zusammengesetzte Verbformen. Nahezu immer genügt jedoch das einfache Präteritum.
Gelegentlich sieht man IS-Formen, die etwas beschreiben, das in der Zukunft erfüllt wird. Das ist falsch. Man verwende die OS-Form, oder, wenn man sehr genau sein möchte, estos ...inta. Sage also nicht: Mi venos al vi, kiam mi finis mian taskon. (Ich werde zu dir kommen, wenn ich meine Aufgabe *abschloss*.) Sage: Mi venos al vi, (post) kiam mi finos mian taskon. (Ich werde zu dir kommen, nachdem/wenn ich meine Aufgabe abgeschlossen haben werde [wörtlich: abschließen werde; die Vorzeitigkeit wird nur durch "post kiam" ausgedrückt]. [Anmerkung: Üblicherweise vernachlässigt man hier im Deutschen das Futur und sagt stattdessen: Ich komme zu dir, wenn ich meine Aufgabe abgeschlossen habe.]) Oder: Mi venos al vi, kiam mi estos fininta mian taskon. (Ich werde zu dir kommen, wenn ich meine Aufgabe abgeschlossen haben werde.)
Futur: OS-Endung
Ein Futur-Verb, also ein Verb mit der Endung OS, gibt an, dass die Handlung oder der Zustand noch nicht begonnen hat im Moment der Aussage. Natürlich ist die Zukunft stets ungewiss, das Futur zeigt aber an, dass der Sprecher denkt, dass die Sache tatsächlich geschehen wird:
- laboros = Die Handlung "arbeiten" hat noch nicht begonnen, aber wird beginnen.
- estos = Der Zustand "sein" hat noch nicht begonnen, aber wird nach gewisser Zeit beginnen.
-
Mi sidos poste sur seĝo. - Ich werde nachher auf einem Stuhl sitzen.
Das Sitzen geschieht tatsächlich später.
-
Mi estos riĉulo. - Ich werde reich sein.
Der Zustand des Reichtums ist eine Tatsache in der Zukunft.
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Mi rakontos al vi historion. - Ich werde dir eine Geschichte erzählen.
Das Erzählen hat noch nicht begonnen.
- Morgaŭ estos dimanĉo. - Morgen wird Sonntag sein.
-
Mi loĝos ĉi tie tri jarojn. - Ich werde hier drei Jahre lang wohnen.
Mein Wohnen hat noch nicht begonnen, aber wenn es beginnen wird, wird es wirklich drei Jahre dauern.
Volitiv (Imperativ): U-Endung
Ein Verb im Volitiv, also mit U-Endung, zeigt an, dass die Handlung oder der Zustand nicht real ist, aber erwünscht, gewollt, befohlen oder angestrebt wird. Der Volitiv zeigt nicht die Zeit der Handlung an, sondern die Handlung findet gewöhnlich in der Zukunft statt:
- laboru = Die Handlung "arbeiten" wird gewünscht, erbeten, befohlen oder angestrebt.
- estu = Der Zustand "sein" wird gewünscht, erbeten, befohlen oder angestrebt.
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Sidu sur seĝo! - Sitze auf einem Stuhl! (= Setze dich...)
Befehl oder Bitte.
-
Estu viro! - Sei ein Mann!
Befehl oder Bitte.
- Ludoviko, donu al mi panon. - Ludwig, gib mir Brot.
-
Ni legu la unuan ĉapitron. - Lesen wir das erste Kapitel.
Ausdruck eines Wunsches.
-
Ĉu ni iru al la dancejo? - Sollen wir ins Tanzlokal gehen?
Eine Frage bezüglich des Willens. Die tatsächliche Bedeutung eines solchen Satzes ist jedoch meist ein höflicher Vorschlag. Vergleiche mit höflichen Bitten weiter unten.
Beim Volitiv lässt man sehr oft das Subjekt weg, wenn es das Pronomen vi ist: Venu tuj! = Vi venu tuj! Aber diese Auslassung ist nur im Hauptsatz möglich, nicht im Nebensatz.
Volitiv in ke-Sätzen
Der Volitiv wird inke-Sätzen verwendet, wenn der Hauptsatz einen Willen, ein Ziel eine Meinung o. ä. ausdrückt:
-
Mi volas, ke vi laboru. - Ich möchte, dass du arbeitest.
Das Arbeiten ist gewollt.
- Li petas, ke mi estu atenta. - Er bittet, dass ich aufmerksam sei.
- Estas necese, ke ni nun unu fojon por ĉiam faru finon al tiu ĉi stato. - Es ist notwendig, dass wir diesen Zustand nun ein für allemal beenden.
Freundliche Bitte
Um seinen Willen freundlicher auszudrücken, verwende man das Wort bonvolu mit dem Infinitiv. Man kann auch einen anderen freundlichen Ausdruck wie mi petas oder ähnliches verwenden:
- Bonvolu sidi ĉi tie! = Sidu ĉi tie, mi petas! - Bitte setze dich hier hin! = Ich bitte darum, setze dich hier hin!
- Bonvolu fermi tiun ĉi fenestron! = Fermu la fenestron, mi petas! - Sei so gut dieses Fenster zu schließen! = Schließe das Fenster bitte!
Verwende auf keinen Fall eine doppelte U-Form. Sage nicht: Bonvolu sidu....
Bemerkung: Manche verwenden stattdessen bonvole ...U, bspw.: Bonvole sidu ĉi tie! (Bitte setze dich hier!) Dies ist eine hinreichend logische Alternative, jedoch weder gewohnt noch traditionell.
Konditional: US-Endung
Ein konditionales Verb, also ein Verb mit US-Endung, wird für nichtreale, imaginäre oder phantastische Handlungen und Zustände verwendet.
- laborus = die Handlung "arbeiten" wird sich vorgestellt
- estus = der Zustand "sein" wird sich vorgestellt
-
Se mi estus riĉa, mi ne laborus. - Wenn ich reich wäre, würde ich nicht arbeiten.
Es geht um einen nicht realen, eingebildeten Zustand und Handlung.
- Se mi estus sana, mi estus feliĉa. - Wenn ich gesund wäre, wäre ich glücklich.
-
Se mi nur loĝus en palaco! - Wenn ich nur in einem Palast wohnen würde.
Ich wünsche es mir sehr, in einem Palast zu wohnen, aber ich weiß, dass es nicht möglich ist, dass es reine Phantasie ist.
-
Mi ne farus la eraron, se li antaŭe dirus al mi la veron. - Ich würde nicht den Fehler machen (hätte nicht den Fehler gemacht), wenn er mir zuvor die Wahrheit gesagt hätte.
Sowohl farus als auch dirus sprechen hier von imaginären Handlungen in der Vergangenheit. Wenn man möchte, kann man die Vergangenheit durch estus dirinta verdeutlichen.
Man verwendet den Konditional auch, um Bitten oder Wünsche freundlicher zu äußern:
-
Mi dezirus aĉeti kelkajn aferojn. - Ich würde gerne einige Sachen kaufen.
Ein realer Wunsch, aber höflich präsentiert.
-
Ĉu mi povus havi la skribilon? - Könnte ich einen Stift haben?
Sehr höfliche, milde Bitte.
-
Ĉu vi bonvolus paroli iom pli silente? - Wärst du so nett, etwas leiser zu sprechen?
Sehr höfliche, milde Bitte.
Der Konditional wird oft mit dem Elementarwort se verwendet, das eine Bedingung anzeigt, aber se erfordert nicht zwingend den Konditional. Alles hängt vom Inhalt ab. Wenn es sich eindeutig um Einbildung handelt, verwende man US, wenn die Handlung oder der Zustand aber real ist, verwende man den Indikativ:
-
Se li estus ĉi tie, li certe mirus pri la malordo. - Wenn er hier wäre, würde er sich sicher über die Unordnung wundern.
Man weiß, dass er nicht hier ist, aber wenn er wäre, würde er sich auch wundern.
-
Se li estas ĉi tie, li certe miras pri la malordo. - Wenn er hier ist, wundert er sich sicher über die Unordnung.
Man weiß nicht, ob er hier ist, aber so kann es durchaus sein. Wenn es tatsächlich so ist, wundert er sich auch tatsächlich.
In einigen Sprachen wird die Verbform für den Konditional auch für etwas gebraucht, das irgendwann einmal vorhergesehen wurde. Dies drückt Esperanto durch zusammengesetzte Verbformen aus: estis ...onta oder estis ...ota.
Infinitiv
Verben mit der Endung I benennen nur eine Handlung oder einen Zustand. Sie geben nicht an, ob es sich um Realität, eine Willensäußerung oder Imagination handelt. Sie zeigen auch nicht die Zeit an. Der Infinitiv wird traditionell als Grundform des Verbs betrachtet. Daher erscheinen Verben in Wörterbüchern in der Infinitivform.
Der Infinitiv ist oft ähnlich einem handlungsbeschreibenden Substantiv: labori (arbeiten) = das Konzept der Verrichtung von Arbeit; esti (sein) = das Konzept des Seins. Es gibt aber dennoch einen Unterschied.
Der Infinitiv ist im Satz Bestandteil derjenigen Rollen, die normalerweise ein substantiver Satzteil hat: Subjekt, Objekt, pri-Angabe usw.: Morti pro la patrujo estas agrable. (Angenehm ist es, für das Vaterland zu sterben.) Malbonaj infanoj amas turmenti bestojn. (Böse Kinder quälen gerne Tiere.) Kiu kuraĝas rajdi sur leono? (Wer traut sich, auf einem Löwen zu reiten?)
Gelegentlich kann ein Infinitiv sogar eine Präposition vor sich haben: Unu fajrero estas sufiĉa, por eksplodigi pulvon. (Ein Funke genügt, um (Schwarz-)Pulver zur Explosion zu bringen.) Der Infinitiv kann jedoch niemals eine N- oder J-Endung haben.
Der Infinitiv kann ein Objekt, eine Angabe usw. haben, genau wie ein prädikatives Verb. Deswegen ist der Infinitiv dennoch ein Verb:
-
manĝi rapide - schnell essen
Der Infinitiv hat eine adverbiale Angabe der Art und Weise.
-
poste manĝi - nachher essen
Der Infinitiv hat eine adverbiale Angabe der Zeit.
-
manĝi pomon - einen Apfel essen
Der Infinitiv hat ein Objekt.
Der Infinitiv kann jedoch kein eigenes (grammatisches) Subjekt haben. Es ist nicht möglich zu sagen: mi manĝi (*ich essen*), la knabino esti (*das Mädchen sein*) o. ä. Meist gibt es jedoch ein ausgelassenes Subjekt: inhaltliches Subjekt.
Viele (aber nicht alle) Infinitive sind gleichsam verkürzte ke-Sätze:
- Mi ĝojas vin vidi! = Mi ĝojas, ke mi vin vidas! - Ich freue mich, dich zu sehen! = Ich freue mich, dass ich dich sehe!
- Mi vidis la knabon kuri. = Mi vidis, ke la knabo kuras. - Ich sehe den Jungen laufen. = Ich sehe, dass der Junge läuft.
Infinitiv als Subjekt
Ein Infinitiv kann als Subjekt im Satz fungieren, wenn man sagen will, welcher Art die vom Infinitiv beschriebene Handlung ist. Meistens ist das Prädikat eine Form von esti:
-
Resti kun leono estas danĝere. - Sich bei einem Löwen aufzuhalten ist gefährlich.
Das, was gefährlich ist, ist die Handlung resti kun leono. Danĝere ist ein Prädikativ zu resti. Es hat die E-Endung, da es ein Verb beschreibt.
-
Kritiki estas facile, fari [estas] malfacile. - Kritisieren ist leicht, machen [ist] schwer.
Das, was leicht ist, ist die Handlung kritiki. Das was schwierig ist, ist die Handlung machen.
Infinitiv in Verbindung mit einem prädikativen Verb
Der Infinitiv wird oft zusammen mit einem prädikativen Verb gebraucht, von dem er abhängt:
- Mi povas kuri. - Ich kann laufen.
- Li volis veni. - Er wollte kommen.
- Ili devis cedi. - Sie mussten nachgeben.
- En varmega tago mi amas promeni en arbaro. ≈ ...amas promenon... - An einem heißen Tag liebe ich es, im Wald zu spazieren. ≈ ...liebe ich einen Spaziergang...
- Ŝi komencis senti doloron kaj rigidiĝon. ≈ Ŝi komencis sentadon de doloro... - Sie begann, Schmerz und Erstarrung zu spüren. ≈ Sie begann das Empfinden von Schmerz...
-
Li ŝajnis subite kompreni. = Li ŝajnis subite komprenanta... - Er schien plötzlich zu verstehen. = Er schien plötzlich verstehend...
Der Infinitiv ist ein Prädikativ des Subjekts li.
-
Nun ili ĉiuj iris dormi. = ...iris por dormi. - Nun gingen sie alle schlafen. = ... gingen sie alle, um zu schlafen.
Wenn der Infinitiv als por-Angabe fungiert, lässt man normalerweise die Präposition por weg.
- Ŝi tuj kuris bati ŝin. = ...kuris por bati ŝin. - Sie rannte sofort, um sie zu schlagen. = ... rannte sofort mit dem Ziel, sie zu schlagen.
-
Kaj vi ne hontas fanfaroni per ĉi tio? ≈ ...hontas pri fanfaronado... - Und du schämst dich nicht, hiermit anzugeben? ≈ ... schämst dich nicht fürs Angeben ...
Wenn der Infinitiv als pri-Angabe fungiert, lässt man immer die Präposition pri weg.
- Feliĉe mi sukcesis ekbruligi la fajron. ≈ ...sukcesis pri ekbruligado de la fajro. - Glücklicherweise gelang es mir das Feuer anzuzünden. ≈ ...gelang das Anzünden des Feuers.
In den vorangehenden Beispielen ist das inhaltliche Subjekt des Infinitivs das gleiche wie das Subjekt des prädikativen Verbs. In einigen Fällen hat der Infinitiv ein anderes Subjekt als das Prädikat.
Einige Prädikate zeigen eine Handlung, welche das Handeln einer anderen Person (oder Sache) beeinflussen will. Derartige Verben sind beispielsweise (mal)permesi, ordoni, doni, destini, peti, instrui, instrukcii, devigi, lasi, inviti, voki, sendi, (mal)konsili, komandi, konvinki, persvadi, memorigi und (mal)rekomendi. Die beeinflusste Person (oder Sache) kommt bei derartigen Verben als al-Angabe oder N-Angabe vor. Wenn ein Infinitiv gemeinsam mit diesem Verb vorkommt, ist das inhaltliche Subjekt des Infinitivs die beeinflusste Person oder Sache:
-
Mi malpermesis al li fari tion. - Ich habe ihm verboten, das zu tun.
Subjekt von fari ist li.
-
Ili ordonis al mi veni antaŭ la vesperiĝo. - Sie befahlen mir, vor der Abenddämmerung zu kommen.
Subjekt von veni ist mi.
-
La reĝo Aĥaŝveroŝ ordonis venigi al li la reĝinon Vaŝti. - Der König Ahasveros befahl, Königin Waschti zu ihm kommen zu lassen.
Subjekt von venigi sind diejenigen, denen der König befahl. Sie werden ausgelassen, können aber als al-Angabe vorkommen: ...ordonis al iuj venigi...
- Mi petas vin trinki. = Mi petas vin, ke vi trinku. - Ich bitte dich zu trinken. = Ich bitte dich, dass du trinkst.
Das Verb promesi (versprechen) gehört nicht zu dieser Gruppe: Mi promesis al li veni al la festo. (Ich versprach ihm, zum Fest zu kommen.) = Mi promesis al li, ke mi venos al la festo. (Ich versprach ihm, dass ich zum Fest kommen werde.) Das inhaltliche Subjekt von veni ist das Subjekt des prädikativen Verbs.
Wenn das Prädikatsverb eine Form von vidi, aŭdi, senti, imagi oder ähnlichem ist, kann ein Infinitiv auftreten, der ein Prädikativ des Objekts des Prädikats ist. Dann ist dieses Objekt inhaltliches Subjekt des Infinitivs:
-
Mi vidis la knabon kuri. - Ich sah den Jungen laufen.
Kuri ist ein Prädikativ von la knabon, dem Objekt von vidis. Subjekt von kuri ist la knabo. = Mi vidis la knabon kuranta. (Ich sah den Knaben laufend.) Mi vidis, ke la knabo kuras. (Ich sah, dass der Knabe lief.)
-
Mi hodiaŭ matene vidis danci miajn knabinojn. - Ich sah heute Morgen meine Mädchen tanzen.
Die Mädchen tanzten.
Infinitiv als Supplement
Ein Infinitiv kann eine nachgestellte Ergänzung (Supplement) eines Substantivs oder Adjektivs (meistens handlungsbeschreibend) sein:
- Forte min doloras la nepovado helpi vin sur via malfacila vojo. = Forte min doloras, ke mi ne povas helpi vin... - Stark schmerzt mich das Unvermögen, dir auf deinem schwierigen Weg zu helfen. = Stark schmerzt mich, dass ich dir nicht helfen kann...
- Mi ricevas grandan deziron edziĝi. = Mi ekdeziregas edziĝi. - Ich bekomme große Lust zu heiraten. = Ich will unbedingt heiraten.
- Lia propono elekti novan prezidanton ne estis akceptita. - Sein Vorschlag, einen neuen Präsidenten zu wählen, wurde nicht akzeptiert.
- Vi havis nenian rajton paroli al mi en tia maniero. - Du hattest keinerlei Recht, in solcher Weise mit mir zu sprechen.
- Ŝi ricevis la taskon trovi trinkaĵon. = ...la taskon, ke ŝi trovu trinkaĵon. - Sie erhielt die Aufgabe, ein Getränk zu finden. = ...die Aufgabe, dass sie ein Getränk finden soll.
- Mi estas kapabla instrui nur la francan lingvon. ...kapablas instrui... - Ich bin nur in der Lage, Fränzosisch zu unterrichten. = ...kann unterrichten...
- Mi estas preta iri por vi piede al la fino de la mondo. - Ich bin bereit, für dich zu Fuß bis ans Ende der Welt zu gehen.
Infinitiv mit Präpositionen
Normalerweise kennzeichnet man nicht die Satzrolle des Infinitivs, sondern überlässt dies dem Kontext. Dennoch ist es manchmal notwendig, die Satzrolle des Infinitivs durch eine Präposition auszudrücken. Von allen Präpositionen sind traditionell nur por, anstataŭ sowie krom vor dem Infinitiv akzeptiert. Sen wird jedoch immer häufiger vor dem Infinitiv gebraucht.
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Ni ĉiuj kunvenis, por priparoli tre gravan aferon. - Wir sind alle zusammengekommen, um eine sehr wichtige Angelegenheit zu besprechen.
Man verwendet por + Infinitiv vor allem dann, wenn der Infinitiv das gleiche Subjekt hat wie das Prädikat. Wenn die zwei Subjekte verschieden sind, verwendet man meist einen Infinitiv ohne Präposition: Ŝi invitis min trinki kafon. (Sie lud mich ein, Kaffee zu trinken.) = ...por ke mi trinku kafon. (...damit ich Kaffee trinke.) Nach Verben der Bewegung wie iri und kuri bevorzugt man einen Infinitiv ohne por, sogar wenn die zwei Subjekte gleich sind: Mi iros ripozi. (Ich werde ruhen gehen.) = Mi iros por ripozi. (Ich werde gehen um zu ruhen.)
-
Ĉi tie ne ekzistas akvo por trinki. ≈ Ĉi tie ne ekzistas trinkebla/trinkota akvo. - Hier gibt es kein Wasser zum Trinken. ≈ Hier gibt es kein trinkbares Wasser.
Wenn ein Infinitiv Ergänzung eines Substantivs ist, gebraucht man por unabhängig vom inhaltlichen Subjekt.
- En la domo estas jam nenio por manĝi. - In dem Haus ist schon nichts mehr zu essen.
- La aliaj anasoj preferis naĝadi en la kanaloj, anstataŭ viziti ŝin. - Die anderen Enten zogen es vor, in den Kanälen zu baden, anstatt sie zu besuchen.
- Vi nenion povas fari krom kunbati viajn dentojn. - Du kannst nichts machen außer deine Zähne aufeinanderzuschlagen.
- Ne ekzistas alia bono por la homo, krom manĝi kaj trinki. - Es gibt kein anderes Wohl für den Menschen außer essen und trinken.
- Tion mi ne povus fari sen detrui mian reputacion. = ...sen detruo de mia reputacio / ... ne detruante mian reputacion. - Das könnte ich nicht machen, ohne meinen Ruf zu zerstören. = ...ohne Zerstörung meines Rufes / ...*nicht zerstörend meinen Ruf*.
- Sen manĝi kaj trinki oni ne povas vivi. = Sen manĝado kaj trinkado... - Ohne zu essen und zu trinken kann man nicht leben. = Ohne Essen und Trinken...
Zwischen antaü und einem Infinitiv stellt man das vergleichende Elementarwort ol:
- Oni devas iri longan distancon, antaŭ ol veni al la rivero. = ...antaŭ ol oni venas al la rivero. - Man muss eine lange Entfernung gehen, *bevor zum Fluss zu kommen*. = ...bevor man zum Fluss kommt.
- Antaŭ ol foriri li ŝlosis la pordon. = Antaŭ ol li foriris... - *Bevor fortzugehen* schloss er die Tür. = Bevor er fortging, ...
Der Gebrauch anderer Präpositionen vor einem Infinitiv ist nicht unlogisch, kann jedoch Missverständnisse aufgrund der Ungewohntheit hervorrufen.
Infinitiv als Prädikat
Gelegentlich sieht man Sätze oder Nebensätze, in denen das einzige Verb ein Infinitiv ist. Der Infinitiv entspricht dann einem Volitiv oder einem Ausdruck mit povi (können):
- Grandega hundo metis sur min sian antaŭan piedegon, kaj mi de teruro ne sciis, kion fari. = ...kion mi faru. - Ein riesiger Hund legte seine große Vorderpfote auf mich, und vor Angst wusste ich nicht, was tun. = ...was ich tun sollte.
- Mi efektive jam ne scias, kiel ĝin klarigi. = ...kiel mi ĝin klarigu. - Ich weiß tatsächlich nicht, wie es erklären. = ...wie ich es erklären soll.
- Ili ne havas, kion manĝi, ili ne havas, per kio hejti la fornon. = Ili ne havas (ion), kion ili/oni povus manĝi, ili ne havas (ion), per kio ili povus hejti la fornon. - Sie haben nichts, *was essen*, sie haben nichts, *womit den Ofen heizen*. = Sie haben nichts, was sie essen könnten, sie haben nichts, womit sie den Ofen heizen könnten.
- Mi havis tiam apud mia domo foson, kiu, se preni la plej malmulte, havis almenaŭ ok futojn da larĝeco. = ...se oni prenu la plej malmulte... - Ich hatte damals neben meinem Haus einen Graben, der, *wenn das geringste annehmen*, mindestens acht Fuß breit war. = ...wenn man das geringste annimmt...
- Ĉu esti aŭ ne esti, — tiel staras nun la demando. = Ĉu mi estu aŭ ne estu... - Sein oder nicht sein, — das ist hier die Frage. = Ob ich sei(n soll) oder nicht sei(n soll)...
- Kion fari? = Kion oni/mi/vi faru? - Was tun? = Was soll(st) man/ich/du tun?
Gelegentlich sieht man Infinitive, die anstelle befehlender Volitive (Imperative) verwendet werden. Dann erhält die Aufforderung eine neutrale Färbung, weder freundlich noch unfreundlich, sondern einfach feststellend. Das inhaltliche Subjekt des Infinitivs ist ganz allgemein oni. Dieser Gebrauch ist selten: Nur prunti, sed ne restigi al si! (Nur leihen, aber nicht aneignen!) = Oni povas nur prunti... (Man darf nur leihen...) Anstatt in der U-Form aufzufordern, drückt der Sprecher seinen Willen als einfache Feststellung einer unbestreitbaren Tatsache aus. Por landoj ne menciitaj en la listo sin turni al LF-KOOP, Svislando. (Für Länder, die nicht in der Liste aufgeführt sind, an LF-KOOP, Schweiz, wenden.) Einfache Feststellung, wie man sich verhalten soll, um etwas bei LF-KOOP zu bestellen.
Infinitive und handlungsbeschreibende Substantive
Infinitive und handlungsbeschreibende Substantive sind ähnlich, aber trotzdem gibt es einen Unterschied. Ein Infinitiv hat stets ein ausgelassenes Subjekt, das meist identisch ist mit dem Subjekt des Prädikats. Ein sinnhaftig ausgelassenes Substantiv ist hingegen unabhängig von einem Subjekt. Es benennt eine Handlung, ohne einen eventuellen Ausführenden zu berücksichtigen. Die Bedeutung eines Satzes kann sich also ändern, wenn man den Infinitiv gegen ein handlungsbeschreibendes Substantiv ersetzt:
- Malbonaj infanoj amas turmenti bestojn. = Ili amas, kiam ili mem turmentas bestojn. - Böse Kinder lieben es, Tiere zu quälen. = Sie lieben es, wenn sie selbst Tiere quälen.
- Malbonaj infanoj amas turmentadon de bestoj. = Ili amas turmentadon de bestoj, ĉu ili mem turmentas, ĉu iu alia turmentas. - Böse Kinder lieben das Quälen von Tieren. = Sie lieben das Quälen von Tieren, ob sie selbst quälen oder ob jemand anderes quält.
- Mi promesis amuziĝi. = Mi promesis, ke ĝuste mi amuziĝos. - Ich versprach, mich zu amüsieren. = Ich versprach, dass genau ich mich amüsiere.
-
Mi promesis amuziĝon. = Mi promesis, ke okazos amuziĝo. - Ich versprach Unterhaltung. = Ich versprach, dass es Unterhaltung geben werde.
Es ist nicht wichtig, wer unterhalten wird.